Die Energieversorgung der Schweiz ist nicht mehr sicher. Die Kraftstoffpreise spielen verrückt. Plötzlich ist Sucht ein Problem – vor allem das von Putins Gas. Das wollen die Eidgenossen abschaffen, wie aus einer aktuellen Sotomo-Umfrage im Auftrag von SonntagsBlick hervorgeht: 62 Prozent sprechen sich für einen Stopp der russischen Energieimporte aus.
Nur: Fossile Alternativen sind rar. Und im Notfall sucht jede Nation für sich. Sonne und Wind versprechen Autarkie, doch die Schweiz hat die Energiewende verpasst. Der Schalter lässt sich nicht einfach umstellen – schon gar nicht nach ein paar Monaten.
Schlechte Isolierung
Es gibt einen schnellen Weg: Energie sparen. Vor allem im Wohngebiet ist das Potenzial riesig. Der Bausektor verbraucht 40 Prozent der gesamten Energie. 1,8 Millionen Häuser in der Schweiz sind im Durchschnitt 45 Jahre alt. Mehr als die Hälfte sind schlecht isoliert und werden mit Öl oder Gas beheizt. Bisher wird jedes Jahr nur ein Prozent repariert.
„Reparaturen und neue Heizungen sind der schnellste und effizienteste Weg zur Steigerung der Energieeffizienz“, sagt Bernhard Lansendorfer (61), Vorstandsvorsitzender der Saint-Gobain WeberAG. Das sehen immer mehr Schweizer so: Lanzendörfers Firma hat sich auf Gebäudehüllen spezialisiert – die Auftragsbücher sind voll. „Energiesparen ist sehr wichtig geworden“, sagte der Chef. „Weil Putins Krieg unsere Energieversorgung bedroht. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen.“
Radikale Reparaturen
Florent Murati (29) ist sich dessen bewusst. Der Chef einer Küchenbaufirma hat im vergangenen Sommer ein 50 Jahre altes Haus für seine vierköpfige Familie bei der Hägglingen AG gekauft. Jetzt saniert er das Gebäude – radikal: Die Fassaden sind sorgfältig gedämmt, moderne Fenster schützen vor Energieverlust. Die Solaranlage liefert Strom – inklusive Steckdose für Elektroautos in der Garage – und verfügt über Energiespeicher und eine Luftwärmepumpe im Keller.
Die komplette Gebäudeautomation verbindet technische Systeme und steuert Funktionen wie Musik, Alarm und Licht energiesparend.
Hilft der Nutzungsbonus?
Das alte Haus war zweistöckig. Jetzt fügt Florent Murati einen dritten von oben hinzu. Allerdings nimmt das neue Stockwerk nur 60 Prozent der Fläche ein – der Nutzung geschuldet. “Da ist kein einziger Quadratmeter mehr übrig”, sagt Murati. An diesem Hebel muss die Politik ansetzen, sagt Bernhard Lansendorfer von Saint-Gobain: „Die Steigerung der Energie dient auch der Konzentrationssteigerung. Die Politik sollte dies mit einem Verwertungsbonus fördern.“
Lanzendörfer hat noch einen konkreten Vorschlag: „Wir brauchen für jedes Haus ein Energielabel, wie wir es von Kühlschränken und Staubsaugern kennen. So können Hauskäufer und Mieter das Thema Energieeffizienz in den Entscheidungsprozess einbeziehen. »
Mehr Unabhängigkeit
Dieses Kriterium rückt immer mehr in den Fokus: „Unsere Entscheidung zur Reparatur war richtig“, sagt Florent Murati, gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. “
Murati verbinde die zentralen Elemente der Energieeffizienz, sagt Marcus Flatt, 42, vom Energieberatungsunternehmen EVU Partners. „Reparaturen im Zusammenhang mit der eigenen Stromerzeugung garantieren nicht nur mehr Unabhängigkeit. Sie rechnen sich auch, gerade bei den aktuellen Energiepreisen. Das gibt einen starken Impuls für neue Heizungsanlagen und Reparaturen.“
Zuschüsse sollen helfen
Auch die Energiepreise seien ein Mittel, um den Verbrauch weiter zu optimieren, sagt Flatt: „Strom ist heute immer gleich. Eine Flexibilität, die sich stärker an effizienter Netzlast und Jahreszeiten orientiert, wäre ein wichtiger Anreiz für Energieeffizienz.“
Murati wurde für seine Bemühungen mit einem Stipendium belohnt. Für Reparaturen stellt der Bund insgesamt vier Milliarden Franken bereit. Aber die konkrete Energiepolitik wird in Städten und Dörfern gemacht. Sie seien bereit, sagt Catherine Bernat, 49, Stadträtin in Schaffhausen und Präsidentin der Energiestadt Schweiz. „Du willst jetzt weitermachen. Sie verzögern sich aber, wenn Bund und Kantone die Rahmenbedingungen, etwa beim CO2-Gesetz, noch nicht aktualisiert haben. Fragen der konkreten Umsetzung in den Gemeinden würden oft vergessen, sagt Bernat.
Wie das Beispiel Hägglingen zeigt, ist eine unkomplizierte und schnelle Umsetzung entscheidend. Wenn die Schweiz im nächsten Winter über die drohende Energieknappheit streitet, wird die Familie Murati ab sofort in ihrem Energiesparhaus wohnen.
Add Comment