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Die 59. Biennale Venedig öffnet ihre Pforten

22. April 2022 um 19:12 Uhr

APA/AFP/Vincenzo PINTO

Kuratorin Cecilia Alemanni vor Simon Lees Bronzeskulptur „Brick House“ im zweiten großen Veranstaltungsort der Biennale, dem ehemaligen Arsenal.

Die in New York lebende Kuratorin Cecilia Alemanni hat 213 Künstler aus 58 Ländern mit mehr als 1.500 Werken zur Ausstellung Milk of Dreams eingeladen. Der Titel kehrt zurück zum Kinderbuch der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington (1917-2011), die darin eine magische Welt beschreibt, die durch die Fantasie immer wieder neu entdeckt wird.

Im Eingangsteil des zentralen Pavillons empfängt „Der Elefant“ von Katarina Fritsch in Originalgröße seit 1987 die Besucher, deren Kombination aus grünlicher Farbe und realistischen Formen den Weg für die surreale Reise der Ausstellung zu ebnen scheint. Die für ihre Skulpturen international bekannte Künstlerin aus Düsseldorf wird in diesem Jahr mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

80 ländliche Pavillons in Giardini und Arsenal

Zu den Auszeichnungen der Biennale, die an diesem Samstag verliehen werden, gehört der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag. Vor dem französischen Pavillon, der von den beiden Direktoren des Hamburger Bahnhofs in Berlin, Sam Bardauil und Til Felrat, kuratiert wurde, bildeten sich bereits Schlangen. Die französisch-algerische Künstlerin Zineb Sedira verwendet rekonstruierte Szenen in einer Mischung aus Dokumenten und Fiktion, um Fragen des politischen Umbruchs und des Feminismus zu analysieren.

Im Britischen Pavillon demonstriert Sonia Boyce die Kraft des weiblichen Gesangs. Die Künstlerin und Professorin für Schwarze Kunst und Design gilt als wichtige Vertreterin im Kampf um die Anerkennung von Künstlerinnen und gegen Rassismus. Ebenso kraftvoll ist die Arbeit von Simon Lee, die dem amerikanischen Pavillon ein Reetdach mit Holzunterkonstruktion verpasste, in dem ihre großformatigen Skulpturen selbstbewusst die Rolle und den Aufbruch der Schwarzen thematisieren.

Den österreichischen Horizont erweitern

Im österreichischen Pavillon untersuchen Jacob Lena Kneble und Ashley Hans Scheirl die dystopischen Zustände der Gegenwart, die frappierend an jene der 1970er Jahre erinnern, die im Pavillon verhandelt werden.

„Wir träumen im Moment nicht von einer besseren Welt“, sagte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz zum Motto der Biennale der Milch. Es ist jetzt wichtiger als in den vergangenen Jahren, die Kunst- und Meinungsfreiheit in Teilen Europas wiederherzustellen. Noch mehr freut es Meyer, dass Kneble und Scheirls „Einladung zur weichen Maschine und ihren bösen Körperteilen“ „den Horizont des Betrachters erweitert“.

Ehrlich gesagt war es schon immer mein Traum, diesen Pavillon zu betreuen.

Für die Kuratorin der Ausstellung, Mama-Chefin Carola Kraus, lädt diese offene Bühne das Publikum dazu ein, ihre Wunschwelt zu erkunden. Laut Kraus spielten Kneble und Sheirl in ihren Werken „humorvoll mit dem menschlichen Körper“.

Obwohl die beiden die Spiegelarchitektur des Pavillons für zwei getrennte Präsentationen nutzen, beziehen sie sich in ihren Arbeiten auch immer wieder aufeinander.

Sheirl füllt den linken Hauptraum mit Proszenium und führt die Besucher durch die im Raum hintereinander platzierten flachen Hintergründe immer tiefer in ihren Raum ein. So gibt es zum Beispiel einen mit flauschigem Fell bedeckten Panzer, der Pillen in den Raum wirft, an die Decke ist ein goldener Anus gemalt und an den Wänden hängen großformatige Gemälde, auf denen beide Künstler zu finden sind. Die Arbeiten sind ironisch an Voyeurismus, Exhibitionismus und Fetischismus orientiert, was sich bis zu einer speziell geprägten Goldmünze erstreckt, die Sheirl ähnelt.

Auf der rechten Seite des von Knebl entworfenen Pavillons begrüßen mehrere bunte 3D-gedruckte Skulpturen die Besucher. Und hier steht das Verlangen im Vordergrund, wenn Menschen und Dinge verschmelzen. Aber auch hier wird über eine neue Verschmelzung von Kunst und Design verhandelt. In den beiden ebenfalls verspiegelten hinteren Räumen präsentieren beide identische, aber gespiegelte Tapeten, die Küchen- und Wohnzimmerinterieurs aus den 70er Jahren beinhalten. Auf die Frage, wie wichtig die Zusammenarbeit sei, fiel die Antwort kurz aus. “Wir sind sehr froh, dass wir nicht ohne einander hier sind.”

Die Biennale im Spiegel des Krieges in der Ukraine

Der russische Pavillon ist leer, nachdem das künstlerische Team dieses Jahr abgereist ist. Das Gebäude steht prominent auf dem Gelände der Biennale und wird rund um die Uhr von der Polizei bewacht, um Angriffe aus Protest gegen den russischen Angriff auf die Ukraine zu verhindern. Kulturschaffende haben am Freitag vor dem russischen Pavillon gegen den Krieg in der Ukraine protestiert.

Der ukrainische Schauspieler Alexei Yudnikov trat einige Minuten lang auf, bevor ihn die Polizei aus dem russischen Pavillon holte. Zunächst erschien Yudnikov in einem langen, dunklen Mantel und trug eine Maske, die an den russischen Präsidenten Wladimir Putin erinnerte.

Das Werk „Piazza Ukraine“ befindet sich an einem sehr zentralen Ort nur wenige Meter entfernt. Rund um einen Turm aus Sandsäcken sind beispielsweise Werke von ukrainischen Künstlern zu sehen, die wegen des Krieges nicht reisen können.

Auch die Ukraine ist mit einem eigenen Pavillon vertreten. Laut dem ukrainischen Zeichner und Bildhauer Pavlo Makov schuf er eine „Metapher für Erschöpfung“.

Pavlo Makov sieht seine Venedig-Arbeit als “Metapher der Erschöpfung”.

APA / AFP / VINCENZO PINTO

In seiner Arbeit fließt Wasser durch eine Pyramidenstruktur aus Trichtern, die sich immer weiter teilen. Makov sieht darin “im Moment eine Verbindung mit demokratischen Gesellschaften, weil sie nicht bereit sind, sich zu wehren”.

Der Deutsche Pavillon erreicht den Grund seiner eigenen Geschichte

Im Deutschen Pavillon enthüllte die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn die Struktur des von den Nazis wiederaufgebauten Gebäudes und damit seine Geschichte.

DEUTSCHER PAVILLON.ORG

Der Deutsche Pavillon war aufgrund seiner NS-Architektur immer wieder Anlass zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Eigentlich sollte er gar nicht da sein. Die in Berlin lebende Künstlerin Maria Eichhorn wollte, dass der wegen seiner NS-Architektur jahrzehntelang umstrittene deutsche Pavillon während der Kunstbiennale in Venedig einfach von seinem prominenten Platz in den Giardini mit Blick auf die Lagune und die Stadt verschwindet. Statt rund 1.500 Tonnen faschistischer Architektur ein leerer Raum zum Nachdenken über Diktatur, Widerstand und die Rolle der Kunst.

Nach Einwänden und fehlender Unterstützung des italienischen Denkmalschutzes und deutscher Skeptiker gegen das radikale Gedankenexperiment steht das Gebäude noch immer. Für Eichhorn ist jedoch schon die Idee der Translokation Teil des Kunstwerks. „Die temporäre Verlegung des Deutschen Pavillons ist ein Kunstwerk, das ohne seine physische Aufführung existiert“, schrieb Kurator Yilmaz Dzevior, Direktor des Ludwig-Museums in Köln.

Mit seiner Arbeit „Moving Structure“ hat Eichhorn seine Vergangenheit auf bestechend einfache Weise sichtbar gemacht. „Wir sind in zwei Gebäuden“, sagte Eichhorn. Die Nazis rissen das ursprünglich als Bayerischer Pavillon errichtete Gebäude nicht ab, sondern bauten es ungeheuerlich aus: eine vier Meter höhere Decke, eine angebaute Apsis, mächtige Säulen statt schmaler Säulen im mächtigen Portikus. Eichhorn enthüllte die Schnittstellen. Jetzt sieht man hinter dem Putz gemauerte Durchgänge, ehemalige Außenmauern, alte Schwellen, Nazi-Beton auf Backsteinmauern.

Service

Die 59. Biennale läuft noch bis zum 27. November 2022. Auch die 15. Biennale findet vom 18. Juni bis 25. September in Kassel statt – ein starkes Jahr für Kunstliebhaber.

Biennale Venedig