Hildburg Bruns
Hier ist Berlin immer noch trauriger Spitzenreiter in Deutschland: Stunde um Stunde werden 55 Straftaten bekannt – von denen erst 25 aufgeklärt wurden.
Von Hildburg Bruns und Emma Neugebauer
Die neue Kriminalstatistik für 2021 ist dank Corona dennoch eine gute Nachricht: Erstmals seit 2012 ist die Summe unter die 500.000er-Marke gefallen, auf 100.000 Einwohner kommen 13.158 Taten (siehe auch unten). Niedriger Rekord nach der Vereinigung der Stadt.
Erstmals gibt es einen statistischen Rückblick auf ein ganzes Pandemiejahr. Senatorin Iris Spranger (SPD) sieht mehrere Entwicklungen:
► „Weniger geklaut!“ 179.455 Straftaten, fast 10 Prozent weniger. Die Gründe: Weniger Großveranstaltungen, Messen, Straßenfeste, Weihnachtsbasare, dazu Abstandsgebot, Grenzprobleme für reisende Tatverdächtige.
► „Mehr betrogen auf der anderen Seite.“ Statt einzukaufen, bestellt man online – und bekommt oft die falsche Lieferung. Auch Betrug mit dem Corona-Krankenwagen (bisher 123 Millionen Euro Schaden), in Testzentren (25 Millionen Euro) und mit gefälschten Impfausweisen (2.000 Ermittlungen) gab es.
Besonders perfide ist eine neue Form des Tricks für Enkelkinder: 600.000 Euro wurden 151 Senioren mit Aufrufen zum Kronenschock gestohlen.
► „Der Drogenvertrieb hat sich verändert.“ Es gab weniger Handel in Parks und Bahnhöfen, dafür mehr Direktverkauf an der Haustür, z. B. durch Steuern auf Koks.
► Laut Spranger ist die Zahl der politisch motivierten Gewaltdelikte stark gestiegen: insgesamt 1.037 Fälle (+ 13,8 %). Es gibt 392 Linksextremisten und 153 Rechtsextremisten.
► „Es gab weniger Durchbrüche.“ Die Zahl der Gelegenheiten für Straftaten ging zurück, weil Anwohner weniger reisten und mehr Menschen von zu Hause aus arbeiteten.
Die Clearingrate ist auf 45,3 Prozent gesunken, ist aber immer noch die zweithöchste der letzten Jahre. Die Zahl der mutmaßlichen Deutschen liegt bei 39,4 Prozent.
Messer sind eine beliebte kriminelle Waffe, mit gefährlichen Klingen, die 2777 Mal verwendet wurden. Der registrierte Schaden stieg um 420 Millionen Euro auf über eine Milliarde Euro – eine Klage, die im Schnitt 4476 Euro ausmacht.
Ebenfalls erschreckend: Während einer zweistündigen Pressekonferenz von Innensenator Spranger und dem slowakischen Polizeipräsidenten wurden statistisch gesehen zwei Polizisten im Dienst angegriffen. 8569 wurden während des Gottesdienstes Opfer von Straftaten – ein Plus von 14,2 Prozent.
Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin, und Barbara Slovak (p), Polizeipräsidentin von Berlin, bei der Vorstellung der Polizeikriminalitätsstatistik für 2021 (Foto: picture alliance / dpa)
„Stündlich ist ein Kollege betroffen, das ist niederschmetternd“, sagte Slovik. Während Beamte auf Patrouillen oft geschlagen wurden, ist der Tatort heute eher eine verbotene Versammlung. “Das hat sich geändert”, sagte Slovik.
Auch Senator Spranger sagte: “Ich verstehe die wachsende Aggression absolut nicht.”
Die Zahlen für jeden Verstoß im Detail
Mord und Totschlag: 100 Fälle, davon 96 Prozent aufgeklärt. Tatverdächtige: 86 Prozent Männer, 43,9 Prozent Nichtdeutsche, 12,8 Prozent unter 21
Polizisten als Opfer: 8.569 Fälle im Dienst, plus 1.064 Opfer (-14,2 Prozent)
Taschendiebstahl: 13.700 Fälle, nur 957 aufgeklärt. 62,9 Prozent der Festgenommenen sind Nichtdeutsche und haben keinen festen Wohnsitz
Wohnungsdiebstähle: 4984 Fälle, davon 476 aufgeklärt. Insgesamt 1095 Mal in Villen, 3889 Mal in Apartments
Autodiebstähle: 31.534 Fälle (+ 1.515), erhöhte Katalysatoren, nur 4,8 Prozent Freisetzungsrate
Fahrraddiebstahl: 25.438 Fälle, davon 1.167 aufgeklärt. Der Höhepunkt liegt im Jahr 2016 mit 34.418
Warenbetrug: 10.816 Fälle, ein Plus von 17,8 Prozent. Die Ware ist nicht angekommen oder von schlechter Qualität
Verstöße gegen öffentliche Verkehrsmittel: 4202 Überfälle, 435 Raubüberfälle, 1842 Beleidigungen, 7351 Taschendiebstähle
Drogendelikte: 18.820 Fälle, meist im Zusammenhang mit Cannabis (57 Prozent). Der Kokainschmuggel nimmt zu (721 Fälle).
Brandstiftung: 771 Fälle, 170 Fälle eröffnet. Jeder fünfte Verdächtige ist unter 21 Jahre alt
Kronenbetrug: 281 Fälle in Prüfzentren mit 25 Millionen Euro Schaden, dazu 9139 Eilverfahren für die Krone (Schaden 123 Millionen Euro), weitere 9100 Verfahren anhängig
Hinter jedem Verbrechen steckt ein Opfer
„Wir dürfen uns nicht blenden lassen“, warnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Hinter all den Verbrechen stehen Opfer, für die die Zahlen wenig aussagekräftig sind, wenn sie persönlich betroffen sind und irreparable Spuren hinterlassen.
Was die Gewerkschafter auch klarstellen: Die Statistik spiegelt nicht die gesamte Kriminalität in der Stadt wider, sondern ist ein Bericht über die Aktivitäten der Polizei. Es bildet nur das sogenannte Lichtfeld ab.
Veröffentlichte Kriminalitätsdaten hängen oft vom angemessenen Personaleinsatz ab, beispielsweise bei Drogendelikten.
Auch FDP-Innenexperte Björn Yotzo, 47, sah die rückläufigen Gesamtfallzahlen nicht als Erfolg für den Innensenator. „Vieles hängt von der eingeschränkten Mobilität der Bevölkerung während der Pandemie ab“, sagte er. “Diese Phänomene werden nicht weitergehen.”
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