Um auf die Spannung dieses Buches einzugehen, müssen wir ein wenig zurückgehen. Was bisher geschah: Im Juni 2004 gewann der bis dahin wenig bekannte Uwe Telkamp den Ingeborg-Bachmann-Preis für „Der Traum in der Uhr“. Er sprach von einer Straßenbahnfahrt durch Dresden, die Jury befand, „wir haben einen großartigen Autor gefunden“, und im Rest des Landes schürten seine Sätze und erzieherischen Anspielungen Hoffnungen, dass der Nachfolger von Thomas Mann oder Marcel Proust endlich unvollendet sei für die dort wiedervereinte Bundesrepublik. Diese Hoffnung erfüllte Tellkamp 2008 mit dem Roman Der Turm. Darin erzählt er von der späten DDR am Beispiel mehrerer Familien im Dresdner Villenviertel Weißer Hirsch. Als Ärzte, Dozenten und Schriftsteller in seinem gebildeten Kokon der Mittelklasse haben seine Charaktere eine gewisse Autonomie von der Lehre. Dann wurden sie im Zuge der Verschwörung vom Staatsapparat bevormundet.
Der Turm wurde als wahre Innenansicht der DDR gelesen und entsprach dem starken Bedürfnis nach dem Venderoman. Das Buch war ein Verkaufserfolg für Suhrkamp, dem Tellkamp gerade beigetreten war. Neben dem großen Respekt der Kritiker wuchs auch der Spott über Telcamps Prosa, die manchmal viel Aufhebens um alte Uhren und schmiedeeiserne Gegenstände machte. Eines aber tat der Roman: Er begeisterte ein Publikum, das es liebte, im Text Anspielungen und Schlüsselfiguren von Goethe über Wilhelm Hauff bis hin zu Peter Hux und Brigitte Ryman zu entdecken. Und gleichzeitig eignete er sich für eine ARD-Verfilmung mit Jan Josef Lifers. Diese Verbindung kann man nur bewundern.
Hatte er nicht schon in seinem Roman Der Eisvogel am Pathos rechtsradikaler Revolutionäre gezündet?
Die Handlung des „Turms“ endet kurz vor dem Mauerfall mit einem Doppelpunkt: „… aber plötzlich … schlugen die Uhren, schlugen 9. November, „Deutschland Vereintes Vaterland“, trafen das Brandenburger Tor: „Seitdem , Tellkamp spricht oft von „update“, seit etwa 2012 kündigt er regelmäßig dessen Erscheinen an, zehn Jahre später ist dieses Buch bereits erschienen. Zuvor stieg die Spannungskurve aus ihrer Vorgeschichte aber aus anderen Gründen wieder an.
Spätestens 2018 hat sich Tellkamp politisch einen Namen gemacht. Bei einem Gespräch mit dem Dichter Durse Grunbein im Dresdner Kulturpalast über Meinungsfreiheit beklagte er, dass Menschen in diesem Land nachsichtig behandelt und ausgegrenzt würden, wenn sie beispielsweise über die Aufnahme syrischer Militärflüchtlinge anders sprächen als von ihm selbst als links bezeichnet . Er fügte hinzu, dass 95 Prozent der Flüchtlinge nicht vor dem Krieg fliehen, sondern in deutsche Sozialsysteme einwandern.
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Uwe Telcamp: Der Traum in den Uhren. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 904 Seiten, 32 Euro.
Die Literaturszene, die sonst liberales Wohlwollen schätzte, war irritiert und nachdenklich: Hatte Telcamp nicht schon in seinem Roman „Der Eisvogel“ von 2005 das Pathos rechtsradikaler Revolutionäre entfacht? Er war einer der ersten Unterzeichner der sogenannten „Charta 2017“, die behauptet, dass durch die Angriffe auf die Neuen-Rechten-Verlage auf der Frankfurter Buchmesse und die Reaktion der Deutschen Börse darauf „die Meinungsfreiheit untergraben wird“. Von einem “Korridor der Einstellungen” war die Rede. Telcamp hat auch die „Gemeinsame Erklärung für 2018“ unterzeichnet, in der es heißt, Deutschland sei „durch illegale Masseneinwanderung geschädigt“. Wieder gingen Kulturkritiker zu Telkamp nach Dresden, das Ganze wurde diskutiert und dann als ein Fall von allgemeiner gesellschaftlicher Spaltung im Kulturbereich bezeichnet.
Was der Suhrkamp Verlag während des Gesprächs mit Grünbein unter dem Hashtag „Tellkamp“ twitterte: „Die in den Äußerungen der Autoren des Hauses zum Ausdruck gebrachte Haltung darf nicht mit der des Verlags verwechselt werden“, gefiel aber niemandem. Auch wenn Telcamp es in seinem Fall bestätigt hat. Verleger Jonathan Landgreb sagte wenig dazu, aber: „Uwe Telcamp ist und bleibt der Autor des Verlags.“ Allerdings wies sie eine gewisse Glaubwürdigkeit als Journalisten aus Welt versuchte in Suhrkamp einen Konflikt über den politischen „Trend“ der Fortsetzung des Romans zu entfachen, da dessen Veröffentlichung für 2020 erneut verschoben wurde: Der renommierte Verleger sei „verzweifelt und ratlos“ wegen des Manuskripts. Autor und Verleger bestritten, dass das Buch einfach nicht fertig sei.
Tatsächlich wurde der Roman, der wie der mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Text Der Traum in den Uhren heißt, in relativ kurzer Zeit und auf verdeckte Weise angekündigt. Obwohl es sich bei diesem Buch um eine stark bearbeitete und gekürzte Fassung handelt, lassen die Adjektive „verzweifelt“ und „ratlos“ schon durch die Textform plausibler erscheinen. Noch vor all den politischen Problemen.
Der lange epische Atem des „Turms“ hat sich in kurze Erzählskizzen aufgelöst
Wie geht’s dem neuen Tellkamp? Nun, gerade bis zum Schluss ist es nicht einfach, sich zurechtzufinden, sich etwas unter seiner Welt vorzustellen, denn „The Dream in the Clocks“ spielt auf verschiedenen Zeitebenen, mit einer Mischung aus fantastischen und historisch-realistischen, collagierten Schlüsselfiguren mehr echte Zeitgenossen. Der lange epische Atem des „Turms“ hat sich in kurze Skizzen von Geschichten aufgelöst, die durch die meisten Vorschläge verbunden sind. Manches taucht später wieder auf, vieles endet kostenlos. Selbst der angenehm schwere Erzählton des erfolgreichen Romans hinterlässt nur Überreste, die als Fossilien in einer Karriere essayistischer, protokollierender und satirischer Schnitte eingeschlossen sind.
Es gibt zwei Hauptaspekte: Dies ist eine Mediensatire und eine Art Fortsetzung des “Turms”. Allerdings muss man den Vorgänger kennen, um Spaß daran zu haben, denn die Charaktere werden nicht neu eingeführt und entwickeln sich fast nicht weiter. Der Roman ist im Wesentlichen 1989/90 während der Friedensrevolution und Wiedervereinigungsverhandlungen entstanden, hat sich also nach dem berühmten Colon nochmal richtig entwickelt. Und es gibt eine narrative Gegenwart aus dem Jahr 2015, geprägt von der Ankunft von Flüchtlingen.
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Eine Art Satiriker: Uwe Telcamp.
(Foto: Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag)
Das hellste Wiedersehen ist mit der Figur Ann Hoffman, an die The Tower als Krankenschwester, Mutter und betrogene Ehefrau erinnern kann. 1989 war sie eine sehr genau beobachtende Bürgerrechtlerin. 2015 trat sie erneut als Bundeskanzlerin an. „Hängende Mundwinkel“ und „völlige Nichtzündung ihrer Auftritte“ führen zu altbekannten Wesenszügen. Man wäre von der Plausibilität dieser Charakterentwicklung überzeugt, aber Telcamp sagt nicht, wie es von einem Stadium zum anderen kommt. Im letzten Drittel fällt Anne irgendwie aus dem Buch, obwohl sie im Flüchtlingsfall noch eine Rolle zu spielen hat.
Es gibt auch ein fantastisches Actionlevel, das bereits in die Darstellung von offiziellen und bürokratischen Räumen im Tower wie Ostrom und Coal Island eingebettet wurde. In dem neuen Buch wird ein Großteil der literarischen Topografie unter dem Namen „Gras“ beschrieben, was konsequent ganz Deutschland, durchzogen von Elbe und Rhein, und eine gleichnamige Stadt bedeutet. Darunter befindet sich eine Mine, in der verschiedene unterirdische Behörden untergebracht sind. Am deutlichsten zieht Tellkamp die Rolle der Tausend-und-eine-Nacht-Division an, die dafür sorgt, dass Informationen selektiert, in Medien und Verlagen gesammelt, zu einheitlichen Narrativen geformt und damit für die Politik nutzbar gemacht werden. Die genannten Zeitungen und Medienhäuser präsentieren sich klar in der deutschen Medienlandschaft. Aus Spiegel bedeutet zum Beispiel hier die Wahrheit und sein Gründer „Alt Brandstein“, auch Augstein genannt, erfand nicht das journalistische Motto „Sag was es ist“, sondern: „Das Leben ist ein Roman. Wir schreiben es.”
Hier ist Telcamp keinen Millimeter von seinen Aussagen aus dem Jahr 2018 abgerückt
Als Satire ist es nicht sehr gut. Außerdem würde das Genre die Wirkung einer höheren Wahrheit anstreben, die in Wirklichkeit in einer politischen Aussage besteht. Darin wich Telcamp keinen Zentimeter von seinen Aussagen aus dem Jahr 2018 ab. Im Laufe des Buches stellt sich heraus, dass die alten Sicherheits- und Kulturorgane der DDR nach der Wiedervereinigung unter der Oberfläche von „Grass“ versunken sind, wo sie jetzt sind mit alten Mitarbeitern an der „Hauptaufgabe“ arbeiten, Gesprächsführung sichern, arbeiten.
Schaut man Telcamp zu, wie er dieses Weltbild erklärt, gewinnt man den Eindruck, dass seine Sympathien für das Bildungsbürgertum in der DDR bitter sind: „Wenn Siemens eine ostdeutsche Provinzkaserne übernimmt, sind die Kräfteverhältnisse klar und nichts wird Rest der Provinzkaserne”, sagt einer über die Folgen der Einheit. Deutschland absorbiert den Osten, das heißt, aber in einem Aspekt mag es seine Vormachtstellung behalten haben: eine vielfältige intellektuelle und frische Landschaft, der Westen ist frei, aber alles ist relativ, man ist offen, aber leer.“
Die Vorstellung, dass die Bundesrepublik, der Westen, dekadent und kontrolliert ist und nun der späten DDR ähnelt, ist ein bekannter Topos, ebenso wie die Idee eines „tiefen Staates“. Ähnliches ist oft mitten in Pegida zu hören. Oder zumindest in Umgebungen, in denen es einfacher ist zu glauben, dass der “Mainstream” von dunklen Mächten kontrolliert wird, als das zuzugeben …
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