Stand: 03.11.2022 18:59
Soll die Corona-Infektion weiterhin als Sonderkrankheit gelten? Gibt es noch Regeln wie die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen? Darüber sprachen übrigens viele Experten am Donnerstag im Kieler Repräsentantenhaus.
Seit Beginn der Pandemie berät der Kieler Virologe Helmut Fickenscher die SH-Landesregierung zum Thema Corona.
Experten, die am Donnerstag vor dem Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags sprachen, sprechen sich für eine weitere Reduzierung der Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus aus. Laut dem Kieler Virologen Helmut Fickenscher gibt es im Land kaum Menschen, die nicht gegen Corona geimpft oder noch nicht infiziert sind. Er geht also davon aus, dass die meisten Bürger in SH bereits einige Abwehrmechanismen gegen das Virus aufgebaut haben. Sein Rat: Die wenigen noch bestehenden Corona-Maßnahmen sollten weiter reduziert werden. So sieht der Virologe beispielsweise keinen Grund mehr für eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch in Senioren- und Altenheimen müssen die Bewohner beim Verlassen ihrer Zimmer keine Maske mehr tragen. Das sei mit der Lebenssituation der Menschen nicht vereinbar, so Fickenscher.
Streek: Isolation ist nicht immer sinnvoll
Sein Virologenkollege Hendrik Streck aus Bonn sagte, er halte es nicht mehr für sinnvoll, dass sich Menschen in Isolation begeben, wenn sie positiv auf das Coronavirus getestet werden. Laut Streek kann auch jeder ohne Symptome zur Arbeit gehen – möglicherweise mit einer FFP2-Maske.
Rupp: Die unzureichende medizinische Versorgung in anderen Bereichen
„Die Fokussierung auf SARS ist eher gefährlich als hilfreich“, sagte Professor Jan Rupp, Direktor der Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Lübeck. Das Hauptproblem ist nicht mehr Covid, sondern der Mangel an medizinischer Versorgung in anderen Bereichen. Covid ist nun eine Infektion unter anderen. Rupp plädierte dafür, verantwortungsvolle Regeln und Symptome statt einer Isolationspflicht in den Vordergrund zu stellen.
AUDIO: Corona-Winter: SH-Landtag befragt Experten (1 min)
Jauch-Chara: Es braucht eine Rückkehr zur Normalität
Auch die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Kiel, Professorin Camilla Jauch-Chara, forderte eine Rückkehr zur Normalität für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. „Wir müssen persönlich Verantwortung übernehmen“, sagte sie. Jauch-Chara nennt die starke Zunahme stressbedingter Erkrankungen. In der Pandemie hat sich die Zahl der Suizidversuche von Kindern und Jugendlichen während und nach dem Lockdown verdreifacht.
Raven: Er braucht einen normalen Job
„Wir brauchen wieder einen normalen Betrieb, um wieder arbeiten zu können“, sagte der Ärztliche Direktor der Lungenklinik Großhansdorf, Professor Klaus Rabe. Dies ist ein wirtschaftliches und strukturelles Problem. Auch sei gedanklich einzuordnen, dass Sars-CoV-2 eine von mehreren Viruserkrankungen ist. Krankenhäuser stehen unter großem Druck, Notaufnahmen sind extrem voll.
CDU bleibt zurückhaltend, FDP und SSW fordern Umdenken
Die Landesregierung berate derzeit, wie eine landesweite Lösung aussehen könnte, erklärte Justiz- und Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU). An der Maskenpflicht in Bussen und Bahnen will sie festhalten. Der frühere Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) hält die Fokussierung auf SARS zunehmend für kontraproduktiv und stimmt damit den Experten zu. „Mit dieser wissenschaftlichen Einschätzung kann die Landesregierung die Einzelhaftpflicht nun guten Gewissens aufheben und auch bundesweit vorankommen“, sagte Garg. Auch Christian Dirschauer vom SSW kritisierte, dass trotz hoher Impfquoten und milder Verläufe die Menschen durch Test-, Masken- und Isolationsauflagen weiterhin in einem Zustand psychischer Angst gehalten würden. „Es geht ohne Hysterie und übertriebene Einschränkungen.
In der ersten Anhörungsrunde am Donnerstag ging es zunächst um die medizinischen Aspekte der aktuellen Pandemielage. Im dritten Teil der Anhörung beschäftigen sich Abgeordnete und Experten mit den rechtlichen Aspekten der Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Schule.
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Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Nachrichten | 03.11.2022 | 11:30 Uhr morgens
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