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Gebrochene Flügel im Zirkuszelt: Kroate in Salzburg

8. Mai 2022

© APA / Anna-Maria Löffelberger

Eine schwankende Liebe in einer schwankenden Welt. Eine Zeit, in der die Hoffnungs- und Fortschrittsverzweifelten um die Gunst der Ausbeuter-Elite kämpfen und ihre Würde für ein Stück Brot verkaufen. Ein Abend, dessen ekstatischer Rausch ein Paar erschreckt, wie aus einem gemeinsamen bösen Traum, aber auch nicht: .

Das Drama der Trennung zweier Liebender spielt sich vor beeindruckender Zirkuskulisse ab. Schauplatz der Show ist das vom Umbau betroffene Sommerquartier des Landestheaters. Die gelungen stilisierte Manege unter der gemütlichen Zeltdecke, gefüllt mit dem süßen Duft von Popcorn, bringt Sie zurück in die hektische, kindliche Freude angesichts von Clownerie und Kabarett. Doch trotz des hier und da hinzugefügten Henkerhumors ist Horvats beklemmendes Stück über den Untergang einer jungen Liebe nichts Komisches.

Der erstaunlich nasse Wiesn-Spaß soll Sie für einen Moment die mageren Finger der Wirtschaftskrise vergessen lassen, die wie Parasiten die Schwächsten ersticken und ihre Lebensgrundlagen erdrücken. Caroline (Sarah Zaharanski), die aus gutem Hause stammt, und ihr gerade vom Autofahren entlassener Verlobter Casimir (Maximilian Payer) sind nur kurz von den wilden Ereignissen fasziniert. Die glamouröse Welt der Reichen und Schönen lockt die ehrgeizige Caroline, ihr fatalistischer Liebhaber ist nur noch ein zorniges Stück ihres Beins, denn Casimir träumt nicht mehr. Caroline ist noch größer darüber.

Während Caroline sich mit dem glänzenden Schneider Schurzinger (Aaron Röhl) vergnügt, der sie später an den schlampigen, leichtfertigen Verkaufsberater Rauch (Axel Meinhard) und dessen Freund Speer (Christoph Wischke) verkauft, fällt dem orientierungslosen, umherirrenden kleinen Casimir in die Hände von Kasimir, Verbrecherin Merkel Franz, deren ungewöhnliche Ironie Georg Clementi gekonnt auf die Bühne bringt. Aus dem unerreichbaren Ideal des Anstands geworfen – eine Leine für die Kleinen und ein Feigenblatt für die Großen – trennen sich die Wege von Casimir und Caroline bis zur Schlusspause.

Enttäuscht verliebt sich Casimir in die von Merkel Franz missbrauchte Erna, die leise von einer Revolution und einem Heldentod träumt, brillant gespielt von Lisa Fertner in ihrer inneren Zerrissenheit. Caroline ist unempfindlich gegen den zweisprachigen Schurzinger, ein schlüpfriges und in ihrem Maßanzug auch äußerliches Double von Casimir, der sich mit wirren Haaren und plumpen Trainingsklamotten über die Bühne bewegt.

Der rasante Zustrom an Emotionen spiegelt sich nicht nur in der musikalischen Untermalung wider, die stilistisch zwischen überhitzten Schlagern, Folklore mit Bass und langweiligem, melancholischem Piano-Blues changiert: Ein eigens für diese Produktion angefertigtes Round-Swing-Design, der Verschwindepunkt des ökonomischen Szenedesigns und Nach dem Vorbild von Jahrmarktsspaziergängen fungiert es mal als Achterbahn, mal als metaphorisches Hamsterrad und wird von den Hauptfiguren gekonnt gespielt. Ein Symbol für die irrige Emanzipation von Casimir und Carolyn, die immer wieder aus dem Getümmel auf den harten Boden düsterer Tatsachen fallen.

Unterhaltsam war die Inszenierung von Carl Philippe von Maldegem, gespielt von Christina Pieger, und minutenlanger Applaus würdigte die Gesamtleistung. Mit der Einbindung der bärtigen Frau in das lyrisch neutralisierte Kabinett der Anomalien mitten im Werk bewies die Regisseurin Mut zur wohldosierten Selbstentfaltung und Sensibilität für drängende gesellschaftspolitische Probleme. Abgesehen von einer stimmlichen Einlage, die offenbar an Conchita Wurst angelehnt ist, verdient diese Figur mit ihrer Aussage mehr Platz. Der Show fehlten andere zeitgenössische Referenzen. Carolines verzweifelter Selbstverrat an falschen Fortschrittsversprechen und die allgegenwärtige Existenzangst, die gesunde Beziehungen zerbrechen und toxische Süchte gedeihen lässt, sind heute aktueller denn je seit der Premiere von Casimir und Carolina im Jahr 1932.

Die Welt bebt erneut. Und liebe mit ihr. Im Konflikt zwischen dem Weitaus Besseren und dem Nahezu Besten für das eigene Leben. Ein innerer Kampf, den Horvath seiner Carolina zudringlich aussprechen lässt: „Oft hat man so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man mit gebrochenen Flügeln zurück und das Leben geht weiter, als wäre es nie da gewesen.“

(SERVICE – „Casimir und Caroline“ von Jodon von Horvath, Eröffnungsvorstellung im alternativen Zirkustheaterzelt; Inszenierung: Carl Philipp von Maldegem, Bühne und Kostüme: Stephanie Seitz, Schauspiel: Christina Pieger; Dramaturgin: Christina Pieger; Der Merkl Franz: Georg Clementi, Erna: Lisa Fertner, Rauch: Axel Meinhard, Speer: Christoph Wishke, Schurzinger: Aaron Röhl, weitere Vorstellungen am 8., 10., 17. und 25. Mai und 2., 9., 4., 1. Mai, 17. und 18. Juni. )