Germany

„Hart aber fair“: „Kanzler darf sich von Putin erpressen“

Das Zögern der Kanzlerin, Waffenlieferungen, das Ölembargo – darum ging es in der Podiumsdiskussion „Hart aber fair“ von Frank Plasberg. Doch zunächst wollte der Moderator am Montagabend eine andere Sichtweise beleuchten – die der Russen.

Wie ist die russische Bevölkerung betroffen? Warum ist Putins Popularitätswert am höchsten, wenn er Kriege beginnt, wie 1999 gegen Tschetschenien, 2008 in Georgien, 2014 bei der ersten Aggression gegen die Ukraine – und jetzt bei der Invasion?

Publizist Michel Friedman, Historiker Stefan Kreuzberger, FDP-Urgestein Gerhart Baum und Narina Karicki, Leiterin der Schule für russische Sprache und Kultur in Bonn, diskutierten über “Putins Krieg oder Russlandkrieg: Wie weiterleben mit diesen Nachbarn?” Politikerin Marina Weisband (Grüne) wurde zugeschaltet.

Gäste der Sendung (links): Gerhart Baum, Marina Weisband (bezogen), Stefan Kreuzberger, Narina Karicki, Michelle Friedman

Quelle: © WDR / Dirk Borm

Friedman warnte vor Verallgemeinerungen und stellte den Wahrheitsgehalt aktueller russischer Umfragen in Frage, denen zufolge Putins Zustimmung bei über 80 Prozent liegt. “Von den ,Russen’ kann man nicht sprechen, das ist keine homogene Gesellschaft, und vor dem Krieg habe ich die Militanz nicht gesehen, die von der Bevölkerung ausgeht.”

Weisband, der zu Sowjetzeiten in Kiew geboren wurde, unterstützt Friedmans Eindruck, indem er direkte Einblicke in die russische Diaspora in Deutschland schildert. „Es gibt eine riesige Kluft, die durch unsere Familien geht. Wenn Brüder nicht mehr mit ihren Schwestern sprechen, sprechen Eltern nicht mehr mit ihren Kindern, weil die Realität so offensichtlich ist, je nachdem, ob man russisches Fernsehen schaut oder nicht.“

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Die in den Medien oft verbreitete Geschichte, dies sei Putins Krieg, nicht der der Russen, will von der einzigen Person in der Gruppe mit russischem Pass nicht akzeptiert werden. “Ein großer Teil der Bevölkerung steht hinter diesem Krieg”, sagte Narina Karicki. „Das ist Russlands Krieg. Leider.” Wie Weisband machte auch sie die russische Propaganda verantwortlich. Im Laufe der Jahre hat sich dies zu einem sehr effektiven Werkzeug entwickelt.

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Andere Gäste nannten auch die inzwischen kaum noch vorhandene unterdrückte Opposition und die fehlende Meinungsvielfalt, die zu einer eindimensionalen Sichtweise vieler Russen geführt habe. Deutschland sei nicht ganz unschuldig, sagte Michelle Friedman: „Wer sich widersetzt, wird eingesperrt. Der Westen sieht das schon lange, auch ohne Krieg. Wie sehr wurde die Demokratie unterdrückt, und Deutschland machte immer noch Geschäfte mit Putin.

In der zweiten Hälfte der Show, die erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie mit Studiopublikum produziert wurde, wandte sich die Gruppe dann der deutschen Debatte zu und diskutierte auch über politische Entscheidungen. Zunächst forderte der FDP-Politiker Gerhart Baum Deutschland auf, nach vielen Fehlschlägen mehr Verantwortung zu übernehmen.

Der FDP-Politiker Gerhart Baum war einst Bundesinnenminister (1978-1982)

Quelle: © WDR / Dirk Borm

„Wir haben uns längst in ein normales Leben eingelebt und nicht gesehen, was vorbereitet wird, nämlich eine strategisch geplante Erweiterungspolitik“, sagte der 89-Jährige, der wie gewohnt deutlich sprach. „Deshalb wird es keinen Frieden mit Putin geben, weil er das auch weiterhin tun wird. Ich mache mir Sorgen, dass Atomwaffen eingesetzt werden. Es liegt in der Luft. Wir sind mitten im Krieg.“

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Friedman fragte sich, ob „wir“ Deutschland meinten. „Ja“, bestätigte Baum. Alles ist gut, wenn Sie die Ukraine unterstützen. „Und es ist nicht gut, wenn jetzt Unterschriftenlisten erstellt werden, die sich gegen die Lieferung schwerer Waffen stellen, weil sie die Ukraine vor Leid schützen wollen. „Die Ukrainer selbst müssen wissen, wie sie ihre Freiheit verteidigen“, sagte Baum unter Beifall des Publikums.

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Damit fand er bei Weisband ein offenes Ohr. Obwohl sie aufgrund der Geschichte Verständnis für die pazifistische Haltung Deutschlands zeigte, war es jetzt an der Zeit, Mut zu zeigen. „Die Ukraine hat ein Recht auf Frieden. Das bedeutet, dass es auf ihrem Territorium keine Plünderungen, Vergewaltigungen und Tötungen von Soldaten gibt. Sie müssen ausgewiesen werden. Das heißt, der Weg zum Frieden besteht darin, die Ukraine in ihrer legitimen Selbstverteidigung zu unterstützen.

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Friedman stimmte zu und kritisierte, dass die Debatte darüber, ob Deutschland neutral oder ein Land sei, immer noch sehr zweideutig sei. Zunächst einmal war Friedman die Rolle von Olaf Scholz völlig unverständlich: „Ich bin überrascht, dass der Bundeskanzler über den Dritten Weltkrieg und Atombomben spricht und damit Putins Geschichte wahrnimmt, die er uns erschrecken will. Ich denke, das ist extrem falsch. Der Bundeskanzler lässt sich erpressen.“

Stefan Kreuzberger plädierte für eine nüchterne Herangehensweise. „Was wir dringend brauchen, ist Realpolitik, die sich im Kalten Krieg bewährt hat. Auch hier brauchen wir einen entschlossenen Westen mit einer klaren Position, die wir in den 1990er Jahren aus den Augen verloren haben. Aber Putin ist ein Wendepunkt, mit dem wir fertig werden müssen.

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