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Pandemie, Krieg, Inflation: Deutschland wird ärmer

Pandemie, Krieg, Inflation Deutschland wird immer ärmer

17. April 2022, 08:01 Uhr

Erst die Pandemie, dann der Krieg. Die Preise steigen, in den Supermarktregalen reißen Lücken auf. Politiker sprechen von Verleugnung und Wohlstandsverlust. Die vielfältigen Probleme verdichten sich zu einer tiefen Krise unseres globalisierten Wirtschaftssystems.

Der Krieg in der Ukraine “wird uns Wohlstand kosten”, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habek. Und Finanzminister Christian Lindner mahnt, Deutschland müsse “neue Quellen gesellschaftlichen Wohlstands erschließen”. Grüne und FDP sind sich selten einig. Und selbst die Opposition sieht den Wohlstandsverlust als unausweichlich an. „Wahrscheinlich haben wir – zumindest für eine Weile – den Höhepunkt unseres Wohlstands hinter uns. Es wird schwieriger“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz.

Ob Russland als verlässlicher Partner die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft mit bezahlbarem Öl und Gas versorgen wird, ist angesichts der Konfrontation mehr als fraglich. Die Folgen sehen die Verbraucher in Deutschland Tag für Tag: Die Benzinpreise sind auf Rekordniveau gestiegen. Viele Waren sind im Einzelhandel teurer geworden. In manchen Supermärkten sind die Ölregale leer.

Die Crown-Krise war noch nicht gelöst, als der Krieg in Osteuropa wohlhabende westliche Gesellschaften in eine neue Ära katapultierte. „Wir können auch für die Freiheit einfrieren. Und ein paar Jahre, in denen wir weniger Glück und Lebenslust haben, können wir auch aushalten“, sagte Bundespräsident a. D. Joachim Gauck Mitte März der ARD. „Der Spiegel“ schreibt: „Worte, die in der deutschen Realität schon sehr lange keine Rolle mehr spielen, kommen wieder: Verweigerung, Entbehrung, Opferbereitschaft, Abwesenheit.“

Die Lebenshaltungskosten sind schwer zu tragen

Recherchen zufolge schränken sich viele Menschen in Deutschland bereits ein. Laut einer Studie im Auftrag der Postbank kann etwa jeder siebte Erwachsene angesichts steigender Inflation kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten – 7,3 Prozent im März. Von den befragten Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 2.500 Euro gaben knapp 24 Prozent an, die laufenden Ausgaben aufgrund höherer Preise nur schwer bewältigen zu können.

Die Bundesregierung hat zwei Milliarden Pakete aufgelegt, um die Menschen von Energie- und Spritpreisen zu entlasten. Mit Geld allein wird der Staat das aber auf Dauer nicht richten können. “Der Krieg in der Ukraine macht uns zum Beispiel ärmer, weil wir für importierte Energie mehr bezahlen müssen”, sagte FDP-Chef Lindner kürzlich der Bild am Sonntag. “Diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht kompensieren.”

Sicheres Einkommen, Erfüllung materieller Wünsche – im Wohlstandsbarometer des Ipsos-Instituts für Marktforschung, das seit 2012 ein Vierteljahr lang erhoben wird, werden solche Faktoren hoch gelobt, wenn Menschen nach ihrem Verständnis von Wohlstand gefragt werden.

Selbstverständliches wird erschüttert

Anders als die Krisen der vergangenen Jahre hat der Krieg in der Ukraine einiges ins Wanken gebracht, was in Deutschland als selbstverständlich galt. „Eine weitere Folge des Krieges in der Ukraine ist das Ende der Friedensdividende in Form sinkender Verteidigungsausgaben“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fust. Der Verteidigungshaushalt steigt deutlich. “Das bedeutet Einschnitte bei öffentlichen Leistungen in anderen Bereichen und höhere Steuern, letztlich weniger Wohlstand”, sagt Fuest. Tempolimits, Sonntag ohne Autos, reduzierte Heizung – die Liste der Sparvorschläge gegen die Energiekrise enthält ein wenig Neues. Eine kurzfristige Reaktion allein sollte nicht ausreichen.

Bereits im März 2020 äußerte sich der Kulturtheoretiker Benjamin Steiniger in einem Artikel der Max-Planck-Gesellschaft mit dem Titel „Inventar des Fossilzeitalters“: „Wir leben in Städten, die nur mit dem Motorrad zu erreichen sind, tragen Goretex und Nylon, ernähren sich uns mit Hilfe von Düngemitteln, süchtig nach Drogen – alles auf Basis von Öl, Gas und Kohle. Konkret und abstrakt wird unsere Lebensweise von fossilen Rohstoffen in einer Weise geprägt, wie wir sie kaum durchdrungen haben.“

Der Politologe Philip Lepenis glaubt, dass in den vergangenen Jahrzehnten moralische Erwägungen – etwa die Versorgung mit Gas und Öl aus autokratischen Ländern – dem Konsum untergeordnet wurden. „Das neoliberale Marktnarrativ suggeriert, dass das höchste Maß an Freiheit die freie Wahl der Verbraucher ist“, sagte SWR2, Leiter des Forschungszentrums für Nachhaltigkeit am Otto-Zur-Institut der Freien Universität Berlin. Plötzlich müssten Staat und Bürger „die Folgen des eigenen Konsums viel dramatischer denn je aufklären“.

Drei große Fehlschläge

Die “Globalisierungseuphorie” der 1990er Jahre, wie Lepenis es nennt, verblasst. Deutschland profitiert seit Jahrzehnten vom freien Welthandel, der den Zugang zu billigen Produkten und Rohstoffen ermöglicht. Dies hielt neben anderen Faktoren die Inflation relativ niedrig. „Die meisten Dinge, die wir kaufen, werden mittlerweile – gelinde gesagt – im Ausland produziert, zu billigen Löhnen und – gelinde gesagt – harmlos – teilweise unter sklavenähnlichen Bedingungen“, sagt Autor Carl Tillesen, der aus der Modebranche kommt.

Die Rahmenbedingungen für den Welthandel haben sich stark verändert – laut Ökonomen nicht erst nach Russlands Angriff auf die Ukraine. „Der Putin-Schock wird wahrscheinlich das dritte große Hindernis für die Globalisierung und die globalen Lieferketten in den letzten Jahren sein, nach dem Handelskrieg zwischen den USA und China und den durch Covid verursachten Unterbrechungen der Lieferketten“, sagte die Deutsche-Bank-Fonds-Tochter DWS.

Die Rückverlagerung der Produktion aus Billiglohnländern nach Deutschland bedeutet in der Regel höhere Preise. Ein allgemeiner Trend zur „Globalisierung“ könnte die Warenströme verändern und damit die Verbraucherpreise erhöhen, schreiben Ökonomen der DZ Bank im Mai 2021. Daher zahlen die Menschen in Deutschland auch einen Preis für den Freiheitskampf der Ukraine.