Was für ein ungewöhnlicher Anblick nach mehr als zwei Jahren Pandemie. 1800 festlich gekleidete Menschen ohne Masken drinnen, lachen, posieren, essen, trinken, Hände schütteln.
An Vorfälle beim Bundespresseball im Hotel Adlon sollte man besser nicht denken, auch wenn alle geimpft und frisch getestet wurden. Man muss an den Krieg denken, aber der wegen der Pandemie zweimal verschobene Ball ist angesichts der neuen Weltlage zu einer Solidaritätsaktion für die Ukraine, für die Pressefreiheit geworden.
Als Ehrengäste kamen der ukrainische Botschafter Andriy Melnik und seine Frau Svetlana sowie die Frau des Bürgermeisters von Kiew, die Sängerin Natalia Klitschko. Es ist wichtig, dass der Botschafter alle Militärreporter nennt, die derzeit in seinem Heimatland stationiert sind. Er bedauere ausdrücklich, „dass viele Politiker durch ihre Abwesenheit auffallen“. Dies würde nicht verhindern, dass ihnen kritische Fragen gestellt werden.
Er kämpft dringend um mehr Unterstützung für sein Land und hat sich wiederholt für den ausführlichen Bericht über die Gräueltaten bedankt. Und er bittet die Gäste im überfüllten Ballsaal um eine Schweigeminute.
Er ging auch auf die viel diskutierte Frage ein, ob es angebracht sei, den Ball jetzt zu feiern: „Gerade in diesen dunkelsten Zeiten brauchen wir das Licht von Kunst und Kultur.“ Standing Ovations gab es am Ende seiner Begrüßung.
Bewerten Sie die Arbeit der Militärkorrespondenten und bitten Sie um eine Schweigeminute: Der ukrainische Botschafter Andriy Melnyk. Foto: Christoph Söder / dpa
“Solidarität braucht ein offenes und öffentliches Gesicht”, sagte Mathis Feldhoff, Vorsitzender der Bundespressekonferenz, “heute sind wir alle diese Person.”
Auch Verteidigungsminister Lambrecht ist kürzlich zurückgetreten
Die gut gemeinte Hingabe an das neue Format politischer Tanzpartys konnte die Aufhebung der Absagen bis zum Vortag nicht verhindern. Schließlich zog auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihre Zusage zurück.
Das Gefühl, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für eine rauschende Ballnacht sei, schien vor allem bei hochrangigen Politikern hoch ansteckend. Die vielen in den Ball eingebauten Charity-Aktionen halfen nicht, zum Beispiel für Frauen auf der Flucht aus Odessa und ukrainische Künstler, die derzeit jede Gelegenheit nutzen könnten, um aufzutreten. Zum Glück für die Organisatoren gab es eine Warteliste und genügend Follower.
Sie hatten viel zu sagen: CDU-Chef Friedrich Merz (Linke) und SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil. Foto: Christoph Söder / dpa
Am Rande des roten Teppichs ist die Erinnerung an einen der letzten Bälle vor der Pandemie, als süffisant verleumdet wurde, was passieren würde, wenn die jetzige Frau von Altkanzler Schröder ihren Vorgänger trifft. Das muss Lichtjahre her sein.
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Gäbe es eine Alternative zum traditionellen Ballformat? Einer der prominenten Besucher, der beinahe spontan aufgegeben hätte, soll die Idee einer Art Sicherheitskonferenz naheliegend gefunden haben – mit Impulsberichten verschiedener Gruppen, Vorträgen im Ballsaal und einem allgemeinen „Berliner Manifest“ für unterwegs zum Frieden und zu einer dauerhaften Friedensordnung als Abschluss. Doch das ließe sich kurzfristig kaum organisieren.
Immerhin kam Claudia Roth, diesmal als Kulturstaatsministerin und auch Medienverantwortliche. Sie sieht den Ball als „Signal für ein zentrales Element unserer Demokratie: die freie Presse“.
Spiel der Farben: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) mit Fliege im Gelb-Blau der Ukraine Foto: Fabrizio Bensch / Reuters
Erstmals dabei ist Francisca Giffe in ihrer Rolle als Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Wolfgang Kubicki trägt zu seinem Hemd eine blau-gelbe Schleife. Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist „ein sehr politischer Abend“ ein Fest der Demokratie.
Hanfsuppenzauber – “Noblesse verpflichtet” im Adlon
Adlon arbeitet zu jeder Zeit nach dem Motto „Noblesse verpflichtet“, was auch bedeutet: Betrieb auf höchstem Niveau. Kalbsbäckchen mit knusprigen Kartoffelspaghetti, Lammnudeln mit feuriger Paprikacreme, gegrillt in Hanfsuppe, da gibt es sicher keinen kulinarischen Farbton zu meckern. Erdbeeren mit verschiedenen Glasuren werden sicherlich Hits, Brownies mit Chili und Algeneis können damit umgehen.
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Und mit dem Pressball-Cocktail Belsazar Rosé Tonic mit viel rosa Wermut können die Gäste nicht nur gute Laune bekommen, sondern auch jede Reue, die sich entzünden kann, zumindest effektiver betäuben als mit einem alkoholfreien Blumenkohl-Smoothie und Joghurt. Viele wollen sowieso nicht zu viel Zeit auf der Tanzfläche verschwenden. Wie von Mitgliedern der Bundespressekonferenz prognostiziert, ist der Redebedarf riesig.
Der Preis der Bundespressekonferenz 2021 wird im Korrespondentenbüro der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ in Berlin überreicht. Die Preisverleihung steht wegen der Solidaritätsbekundungen im Hintergrund.
Im Mittelpunkt steht die Spendenaktion von Reporter ohne Grenzen für ukrainische Journalisten und russische Exilreporter. Vorstandsmitglied Michael Rediske sprach kurz vor dem Eröffnungstanz. Auch die vielen ernsten Elemente und deutlich längeren Reden unterstreichen, dass es hier nicht wie üblich nur um Unterhaltung oder gar um ein Ballgeschäft ging.
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